Wie Thüringen, Sachsen und Brandenburg regiert werden könnten (2024)

Wie Thüringen, Sachsen und Brandenburg regiert werden könnten (1)

Stand: 12.06.2024 16:59 Uhr

Die Ergebnisse der Europawahl heizen die Debatte um zukünftige Mehrheiten in Brandenburg, Sachsen und Thüringen weiter an. Im Fokus steht Wagenknechts BSW. Andere Parteien setzt das unter Druck.

Von Thomas Vorreyer

Der Jubel im Kosmos, einem früheren Berliner DDR-Kino, ist groß am Sonntagabend. Offenbar könnten viele Menschen wieder "reinen Gewissens und Herzens wählen", sagt die Frau, um die sich hier alles dreht: Sahra Wagenknecht. Für ihr "Bündnis Sahra Wagenknecht" ist die Europawahl der erste Achtungserfolg.

Besonders freuen sie sich über die Ergebnisse in Ostdeutschland. In Sachsen holt sie 12,6 Prozent, in Brandenburg 13,8 und in Thüringen sogar 15. Damit kann Realität werden, womit sich manche Parteimitglieder schon seit Wochen beschäftigen: dass das BSW nach den drei Landtagswahlen im Herbst mitregiert. Längst geht es auch um Ambitionen für Ministerposten.

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Bei der Wahlnachlese am nächsten Tag legt Wagenknecht noch einen drauf. In Thüringen sei die Frage, wer am Ende den Ministerpräsidenten stellt, "durchaus offen", sagt sie. So groß sei der Abstand zur CDU nicht. Jetzt ist also schon von einem oder einer BSW-Ministerpräsidentin die Rede.

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CDU debattiert über Umgang mit BSW

Friedrich Merz will da nicht mitmachen. Im ARD-Brennpunkt sagt der CDU-Vorsitzende am Montagabend, seine Partei arbeite mit "rechtsextremen und linksextremen Parteien nicht zusammen". Und für Sahra Wagenknecht gelte beides: "Sie ist in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem."

Mit diesem gewagten Urteil schließt Merz die Wagenknecht-Partei mal eben in den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU ein. Dieser untersagt bislang "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit" mit Linkspartei und AfD. Noch beim Bundesparteitag Anfang Mai hatte sich die Partei um eine Diskussion dazu gedrückt.

Einer der Wenigen, der Merz öffentlich beispringt, ist der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz. Auf X schreibt er: "Friedrich Merz hat absolut recht." Wagenknecht hätte es noch nie "mit der Demokratie" gehabt, so Wanderwitz.

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Merz' Rückzieher

In den Führungsriegen der Ost-CDU klingt das anders. Er gehe davon aus, dass Merz "für die Bundesebene gesprochen" habe, sagt der Thüringer Landeschef Mario Voigt. Sein Verband wolle vor der Wahl nichts ausschließen.

Brandenburgs CDU-Chef Jan Redmann wiederum nennt Zweifel an Wagenknecht und am BSW "berechtigt", fügt aber im "Handelsblatt" hinzu: "Zum jetzigen Zeitpunkt können wir in Brandenburg weder Personen noch Programme bewerten." Damit hält er sich alle Optionen offen. Ähnliche Äußerungen kommen aus Sachsen.

Redmann und Voigt erhalten Unterstützung aus der Union. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst warnt seine Partei vor "pauschalen Empfehlungen von oben herab". Noch am Dienstagnachmittag fängt dann Friedrich Merz selbst seine Äußerung ein. Er habe sich "aus Sicht der Bundespolitik geäußert", sagt er nun.

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Kenia-Koalition in Sachsen wackelt

Auf den Bund richtet sich wieder einmal auch der Blick von Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer. Er fordert Bundeskanzler Olaf Scholz am Montagvormittag dazu auf, über Neuwahlen nachzudenken oder aber mit der Union zusammenarbeiten. Kretschmer wertet das Ergebnis der Europawahl als Vertrauensentzug für die Ampel.

Wenn man dieser Argumentation folgt, ist allerdings auch Kretschmers Dresdner Koalition weit von einer Mehrheit entfernt. CDU, SPD und Grüne kamen bei der Europawahl in Sachsen zusammen gerade mal auf 34,6 Prozent. Der Befund lässt sich auch auf andere Landesregierungen übertragen: In Brandenburg holte Rot-Schwarz-Grün nun 37,5 Prozent, in Thüringen Rot-Rot-Grün nur noch 18,1 Prozent.

Bei der Europawahl hätte die Bundespolitik im Fokus gestanden, heißt es nun unisono aus Dresden. Überhaupt arbeite die Kenia-Koalition besser als ihr Ruf. Doch es ist der Ministerpräsident selbst, der seit Monaten betont, nur notfalls mit den Grünen weiterarbeiten zu wollen. Letztere bringen sich angesichts des Flirts von CDU und BSW in Stellung.

Eine "stabile Koalition" aus der Mitte der Gesellschaft werde es nur mit Grünen geben können, sagt Sachsens grüne Justizministerin Katja Meier zu tagesschau.de. Sie hält die Strategie der sächsischen CDU, "mit Angriffen auf Grüne und Ampel Stimmen von der AfD zurückzugewinnen", für gescheitert.

Bei der Wahl habe am Sonntag seien damit "vor allem die Schreihälse und Populisten in Sachsen gestärkt" worden, so Meier. Die Koalitionäre sollten sich deshalb darauf besinnen, was die Koalition für Sachsen erreicht hat.

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Linke und CDU in Thüringen

In Thüringen wiederum setzt die Annäherung von CDU und BSW die Partei von Ministerpräsident Bodo Ramelow unter Druck. Die Linke blieb dort bei den Europa- und Kommunalwahlen einstellig. Bis zur Landtagswahl am 1. September vertraut sie vor allem auf Ramelows Beliebtheitswerte.

Co-Landeschef Christian Schaft sagt zu tagesschau.de: "Wir sammeln jetzt unsere Kräfte." Die Linke wolle weiterhin die "stärkste demokratische Kraft" werden. Um dann weiterregieren zu können, wäre Ramelow aller Voraussicht nach auf die CDU angewiesen. Der hat er schon mehrfach eine Zusammenarbeit angeboten.

"Um in schwierigen Zeiten stabile Verhältnisse zu ermöglichen", sei die Linke dafür offen, formuliert es Schaft. Über das Wie und Was müsse nach der Wahl diskutiert werden. Jetzt gehe es darum, Gesprächskanäle offen zu halten.

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AfD außen vor

Zumindest gibt es Bewegung bei der CDU. Der Thüringer Landeschef Voigt betont zwar weiter den Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei. Allerdings haben er und andere CDU-Vertreter zuletzt eine neue Sprachregelung gefunden. Von "keiner Koalition mit AfD und Linker - und auch keiner Zusammenarbeit mit der AfD" ist dann die Rede. Warum die Linke beim zweiten Teil ausgelassen wird, muss sich das Gegenüber selbst zusammenreimen.

Voigt rechnet mindestens damit, dass ihm die Linke, sollte die CDU vor ihr landen, ins Amt des Ministerpräsidenten verhilft. Zuletzt konnten Rot-Rot-Grün und CDU im Erfurter Landtag noch eine Verfassungsänderung und ein Kindergarten-Gesetz beschließen.

Außen vor steht bei all diesen Diskussionen die AfD. Die 31,8 Prozent bei der Europawahl in Sachsen nähren zwar die leise Hoffnung, dass es im September knapp zu einer Alleinregierung reichen könnte. Aber in den Tagen nach der Wahl macht niemand einen Schritt auf die in Teilen rechtsextreme Partei zu.

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Auch diejenigen in der CDU, die sich zumindest eine Tolerierung durch die AfD vorstellen können, schweigen. Bundessprecherin Alice Weidel versucht es deshalb mit einer Avance in bekannter Richtung. "Wir würden mit jedem reden - auch dem Bündnis Sahra Wagenknecht", sagt Weidel im ARD-Brennpunkt. Wagenknecht dürfe jetzt nicht als "Oppositionsspalterin" auftreten.

Sahra Wagenknecht schaut alldem offenbar gelassen zu. Am Dienstagnachmittag spricht sie vor Journalisten im Bundestag. Gerade hat ihre Gruppe die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj boykottiert und so demonstriert, was für eine Zerreißprobe eine Koalition mit dem BSW für jede andere Partei bedeuten dürfte.

Wagenknecht spricht zu CDU-Chef Merz und den Reaktionen auf seine Äußerung. Merz sei "offensichtlich damit überfordert, seine Partei zu führen", sagt sie. Er kalkuliere wohl die Unregierbarkeit mehrerer Bundesländer ein. Das BSW stehe jedenfalls für "stabile Regierungen" bereit.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR Sachsen - Das Sachsenradio am 10. Juni 2024 um 08:10 Uhr.

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